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Bast-Schälen |
Marianne Golay schält die oberste Rindenschicht von der Rottanne ab. Darunter liegt der begehrte Bast.
Marianne Golay (56) ist Sanglière. Das hat nichts mit einem Wildschwein («sanglier») zu tun, sondern mit den «sangles». So nennt man die hauchdünnen Baststreifen aus Rottannenrinde, die den «Vacherin du Mont d'Or» umgürten und dem Käse eine Duftnote von Rindenharz, Moos und Wald verleihen. Eine Sanglière ist demnach eine Frau, die diese Bastrinden vom Baum schält. Sobald einige geeignete Fichtenstämme im Wald für Marianne Golay bereitliegen, zieht sie los. Beim Baum angekommen, entrindet sie ihn mit dem Schindeleisen bis zum ersten Astloch. Nun kommt die Bastschicht zum Vorschein. «Jeder Baum ist anders», sagt sie. «Mal ist die Bastschicht feucht, mal trocken, mal hart, mal eher weich.» Zügig schneidet sie Streifen ein, schält sie ab und legt sie über den nackten Stamm. Sie macht das nun schon seit 18 Jahren, «immer im Frühling und Herbst, denn im Sommer ist der Wald geschützt». Die Lehre hat sie als Sekretärin in einem Uhrmacherbetrieb gemacht. Wegen der Krise fand sie keinen Teilzeitjob, den sie neben der Familienarbeit hätte annehmen können. So führte sie ihr Ehepartner, ein Förster, in das Sanglier-Handwerk ein. Auf diese Weise konnte sie während der Ausbildung ihrer beiden Söhne für die Familie dazuverdienen.
In der Zwischenzeit hat Marianne Golay eine Teilzeitarbeit als Sekretärin gefunden, und die Söhne stehen als Landwirt und Förster auf eigenen Beinen. Trotzdem macht Marianne Golay im Winter Krafttraining, um für die schwere Arbeit im Wald fit zu sein. Solange sie kann, wird sie weiter machen — wohl wissend, dass sie kaum eine Nachfolge finden wird. «Es haben sich schon einige junge Leute interessiert», sagt sie. «Nach einem Morgen sind sie nicht wiedergekommen. Zu gross ist die Mühe, zu klein der Verdienst.» Nur: Marianne Golay rechnet anders. Sie sieht sich vor allem belohnt mit der Ruhe im Wald, mit den feinen Düften, die sie dort umgeben, und mit dem Gefühl, mit einem traditionellen Handwerk ein regionales Produkt zu veredeln.
(Text aus der Broschüre 2017 der Schweizer Patenschaft für Berggemeinden)
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